Von der globalen zur regionalen Perspektive
Schwerpunktsetzung in Medienberichten über das Impfen

Das Impfen ist aktuell in Schweizer Medien die meistthematisierte Massnahme zur Bekämpfung der Pandemie. Der Impfdiskurs ist dabei sehr vielschichtig. Unter anderem beinhaltet er unterschiedliche geografische Bezüge, so wird mal eine globale Perspektive eingenommen, mal geht es um Europa oder um die Schweiz bzw. einzelne Kantone. In diesem Beitrag analysieren wir anhand der Orte, die in der Berichterstattung im Zentrum stehen, thematische Schwerpunkte und ihre Entwicklung im Impfdiskurs. Die Daten verdeutlichen, dass sich im Impfdiskurs drei Phasen identifizieren lassen, die durch eine internationale, nationale und schliesslich kantonale Perspektive geprägt sind.

Abbildung 1: Entwicklung der geografischen Bezugsräume in Medienartikeln zur Impfthematik in absoluter Anzahl publizierter Artikel. Artikel wurden jeweils dem meistgenannten geografischen Bezugsraum zugeordnet: Schweizer Kantone, Schweiz national, Europa oder global (ausserhalb Europas). Die Werte wurden geglättet zu einem 30-Tages-Durchschnitt.
Lesebeispiel: Ende Januar 2020 wurden täglich über 20 Artikel zur Impfthematik veröffentlicht, welche sich auf Schweizer Kantone, Regionen oder Ortschaften bezogen.

Phase 1 «Internationale Impfstoffentwicklung» : In der ersten Phase stand die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Virus im Zentrum der Berichterstattung. Relativ lange dominierte deshalb eine globale Perspektive in den Artikeln. Europa, die Schweiz sowie die Kantone und Ortschaften der Schweiz spielten eine eher untergeordnete Rolle, wenn über das Impfen berichtet wurde. Am präsentesten waren die USA in der Berichterstattung. So wurde beispielsweise viel darüber berichtet, wie die USA unter Präsident Trump versuchten, sich im Mai eine Lieferung von Moderna-Impfdosen aus einem Schweizer Produktionsstandort zu sichern. Schlagzeilen machte auch die Zulassung des Sputnik-Impfstoffes in Russland Mitte August. Gleichzeitig sorgte der erste Schweizer Impfstoff-Vertrag mit dem US-Biotechnologie¬unternehmen Moderna für mediale Beachtung im nationalen Kontext.

Phase 2 «Nationale Zulassung»: Mit dem Durchbruch bei der Impfstoffentwicklung von Biontech/Pfizer am 9. November änderte sich auch der geographische Fokus der Berichterstattung. Die nationale Perspektive gewann an Bedeutung. Insbesondere die bevorstehende Zulassung in der Schweiz und Verträge für Impfstoff-Lieferungen standen im Fokus. Die Kantone spielten in dieser Phase eine untergeordnete Rolle.

Abbildung 2: Entwicklung des geografischen Bezugsraums in Medienartikeln zur Impfthematik in Relation zur Gesamtzahl aller Artikel zum Impfdiskurs. Die Werte wurden geglättet zu einen gleitenden 30-Tages-Durchschnitt.
Lesebeispiel: Mitte August 2020 bezogen sich über 50% aller publizierten Artikel zur Impfthematik auf einen geografischen Raum ausserhalb Europas.

Phase 3 «Kantonale Verimpfung»: Nach der Zulassung des ersten Impfstoffs am 19. Dezember 2020 rückten die Kantone in den Fokus des medialen Interessens, da diese für die Umsetzung der Impfprogramme verantwortlich waren. Neben der oftmals kritischen Berichterstattung über die kantonalen Impfprogramme waren aber nach wie vor auch internationale Ereignisse wichtig. Impffortschritte in den einzelnen Ländern und die Sorge um Wirksamkeit der Impfungen gegen Mutationen aus Brasilien oder Südafrika nahmen hier einen hohen Stellenwert ein.

Am Impfdiskurs lässt sich exemplarisch aufzeigen, wie die Einführung und Umsetzung einer Massnahme zur Bekämpfung der Pandemie mit einer veränderten geografischen Schwerpunktesetzung in der Berichterstattung einhergehen. Der Bezugsraum verschob sich über den untersuchten Zeitraum kontinuierlich und mit zunehmendem Umfang vom globalen zum regionalen Kontext, d.h. es zeigte sich eine zunehmende Regionalisierung des Impfdiskurses. Die Berichterstattung über die Massnahmen hat somit auch eine ausgeprägte geografische Komponente, die es bei möglichen Effekten auf Einstellungen in der Bevölkerung zu berücksichtigen gilt.

Methode: Named Entity Recognition (NER)

Geografische Bezugsräume definieren in Medienbeiträgen das «Wo». Im Impfdiskurs lässt sich damit ergründen, ob beispielsweise Massnahmen der Kantone, der Schweiz oder internationale Ereignisse behandelt werden. In den Medienbeiträgen über das Impfen wurden deshalb mittels Named Entity Recognition (NER) Orte (sogenannte «Geografic Entities») automatisiert identifiziert und ausgewertet (siehe Tabelle 1). Die 400 meistverwendeten Orte wurden zusätzlich manuell den geografischen Bezugsräumen global, Europa, Schweiz und Kantone zugewiesen. So können wir aufzeigen, wie oft ein Bezugsraum thematisiert wird (absolute Anzahl Beiträge; Abbildung 1) und welche relative Bedeutung die Bezugsräume im Verhältnis zum gesamten Impfdiskurs einnehmen (prozentuale Anzahl Beiträge; Abbildung 2).

RangGlobalArtikelEuropaArtikelKantoneArtikel
1USA1824Grossbritannien1413Zürich607
2China759Deutschland1387Bern583
3Israel576Europa1072Genf341
4Russland400Italien508Basel307
5Südafrika381Frankreich424Kanton Zürich301
6Brasilien336Österreich359Luzern242
7Indien249London318Tessin242
8New York199England274Basel Stadt210
9Washington181Spanien270Kanton Bern187
10Vereinigten Staaten171Berlin246Aargau179
11Weissen Haus170Dänemark235Graubünden173
12Afrika166Europas226St. Gallen170
13Amerika160EU Staaten212Wallis163
14Japan157Schweden188Kanton Luzern156
15Wuhan157Brüssel186Visp136
16Chinas156Belgien177Zug121
17Australien153Irland130Kanton Graubünden117
18Kanada153Niederlanden116Kanton St. Gallen114
19Moskau143Ungarn106Waadt110
20Asien141europäischen Ländern102Solothurn98
RangGlobalArtikelEuropaArtikelKantoneArtikel
1USA1824Grossbritannien1413Zürich607
2China759Deutschland1387Bern583
3Israel576Europa1072Genf341
4Russland400Italien508Basel307
5Südafrika381Frankreich424Kanton Zürich301
6Brasilien336Österreich359Luzern242
7Indien249London318Tessin242
8New York199England274Basel Stadt210
9Washington181Spanien270Kanton Bern187
10Vereinigten Staaten171Berlin246Aargau179
11Weissen Haus170Dänemark235Graubünden173
12Afrika166Europas226St. Gallen170
13Amerika160EU Staaten212Wallis163
14Japan157Schweden188Kanton Luzern156
15Wuhan157Brüssel186Visp136
16Chinas156Belgien177Zug121
17Australien153Irland130Kanton Graubünden117
18Kanada153Niederlanden116Kanton St. Gallen114
19Moskau143Ungarn106Waadt110
20Asien141europäischen Ländern102Solothurn98

Tabelle 1: Meistgenannte geografische Begriffe pro Bezugsraum. Die Kategorie Schweiz national umfasst nur den Begriff «Schweiz» mit 3559 Artikeln. Der Anteil Artikel zur Schweiz ist vermutlich noch höher als hier ausgewiesen, da Artikel nicht immer explizit Bezug auf die Schweiz nehmen, während sie das bei ausländischen Themen i.d.R. tun.

Repräsentativität der Daten

Für die Analyse der Medienbeiträge werden insgesamt 12 Onlinemedien erfasst. Das Sample beinhaltet die reichweitenstärksten Medien der Deutschschweiz. Es berücksichtigt verschiedene Medientypen und umfasst Abonnementsmedien, Pendlermedien und Boulevardmedien sowie die Portale der SRG SSR.

Mediensample: 20Minuten, Aargauer Zeitung, Basler Zeitung, Berner Zeitung, Blick, Bluewin, Luzerner Zeitung, NZZ, SRF, Tagblatt, Tages Anzeiger, Watson

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